Gloria Steinem hat einmal gesagt: ‘You can’t empower women without listening to their stories.’ – ‘Man kann Frauen nur stärken, wenn man sich ihre Geschichte erzählen lässt.’ Das finden wir auch.

Diese Überzeugung, gepaart mit den vielen Jahren, in denen wir unterwegs waren, um mit Menschen unterschiedlichster Herkunft Bücher zu machen, und den zahllosen Beispielen von Ungleichheit und Gleichgültigkeit, die wir überall auf der Welt erlebt haben, das alles hat uns die Anregung zu diesem Buch gegeben.

Unsere Grundidee war, 200 Frauen in unterschiedlichen Gegenden der Welt – seien sie nun reich oder arm, schwarz oder weiß, gebildet oder ungebildet, bekannt oder unbekannt – dazu zu bringen, sich vor ein einfaches Stück Baumwollstoff zu setzen oder zu stellen, um sich fotografieren und filmen zu lassen, während sie fünf grundlegende Fragen beantworteten.

Wir haben uns bemüht, jegliche Ablenkung zu vermeiden und den visuellen Kontext des Lebens der jeweiligen Frau auszuklammern, und haben uns einfach nur auf sie als Mensch konzentriert, als wir folgende Fragen stellten:

  • ‘Was ist Ihnen wirklich wichtig?’
  • ‘Was macht Sie glücklich?’
  • ‘Was empfinden Sie als tiefstes Leid?’
  • ‘Was würden Sie in der Welt verändern, wenn Sie könnten?’
  • ‘Wählen Sie ein Wort, das Sie beschreibt.’

Wir waren als kleine, geschlossene Gruppe unterwegs, im Mittelpunkt der talentierte, einfühlsame Kieran E. Scott. An jedem Haltepunkt brachten wir an der ruhigsten und hellsten Stelle, die wir finden konnten, unser bescheidenes Baumwolllaken in Stellung. Von einem staubigen Flachdach über den Straßen von Kalkutta, über eine schneebedeckte Kunstgalerie in Nordschweden, ein palästinensisches Flüchtlingscamp in Beirut, eine Hotelsuite in New York, die wir uns kaum leisten konnten, eine Township in Kapstadt, wo wir auf einmal von zauberhaften Kindern umringt waren, die ein Polaroidfoto für einen Zaubertrick hielten, die erdbebengeschädigten Berge in Nepal bis hin zu den lauschigen Vorstadtstraßen von Sydney und darüber hinaus. War unsere Kulisse eingerichtet, erklang der Ruf ‘Ruhe am Set’, und einer von uns fing behutsam an, die Interviewpartnerin nach ihrem Leben zu fragen. Wenn sie bereit war, stellten wir unsere fünf Fragen. Und dann hörten wir einfach zu.

Die Liste der Interviewpartnerinnen war eine Zusammenstellung von Prominenten und Frauen, von denen wir erst bei der Recherche vor Ort erfuhren. Viele wurden uns von aufmerksamen Freunden vorgestellt oder von Freunden von Freunden, Kollegen und Gleichgesinnten in unterschiedlichen Ecken der Welt. Unter ihnen waren Künstlerinnen, Aktivistinnen, Unternehmerinnen und sogar eine Astronautin neben Führungskräften aus der Wirtschaft, einer Ziegenhirtin, einer Krankenschwester sowie einer Nepalesin, die die meiste Zeit ihres Lebens auf den Straßen von Kathmandu Zigaretten verkauft hat – jeweils nur eine –, um ihre Familie zu ernähren.

Ihre Antworten und ihre Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein, aber immer wieder trafen wir auf Güte, Großmut, Weisheit, Inspiration und vor allem auf die Wahrheit.

An den ärmsten Orten wurden wir mit der grausamen und sehr realen Wechselwirkung zwischen Armut und Ungleichheit konfrontiert. An diesen Orten vergossen wir Tränen, als wir den Geschichten von Mädchen lauschten, die im Rotlichtmilieu gefangen waren, im Alter von zehn oder elf mit Fremden zwangsverheiratet wurden, Schulbildung und grundlegende Freiheiten vorenthalten bekamen und allen erdenklichen Formen von Elend durch Männer und eine patriarchalische Kultur ausgesetzt waren, die leider immer noch sehr stark vorherrscht.

Vor allen Dingen stellten wir fest, dass, sobald in den Geschichten von ‘wir’ und ‘sie’ die Rede war, fast immer Schmerz und Spaltung mit im Spiel waren. Aber wir konnten auch erleben, dass wundervolle Dinge möglich werden, wenn man im Gegenüber den Menschen sieht.

Letztendlich hat uns die Arbeit an diesem Buch gelehrt, dass es keine gewöhnlichen Frauen gibt und auch kein ‘wir’ und ‘sie’. Es gibt nur uns. Menschen wie du und ich.

- Geoff Blackwell und Ruth Hobday

Behind the scenes

‘Man kann die Situation der Frauen nicht umgestalten, ohne dass sich dabei auch etwas für die Männer ändert.’ - Margaret Atwood

Mir ist es ein besonderes Anliegen, starken, unabhängigen und mutigen Frauen Gehör zu verschaffen, und seit 13 Jahren veröffentliche ich in meinem Verlag Bücher, die an die Lebensleistung und das Schicksal von Frauen erinnern – oft zum ersten Mal. Im Laufe der Jahre haben wir zahlreiche beeindruckende Frauen bei uns versammelt: von den gefährlich lesenden Frauen und den ersten Lehrerinnen zu den Bauhaus-Frauen, erfolgreichsten Kinderbuchautorinnen zu starken Überlebenskünstlerinnen aus Afghanistan.

Als wir eingeladen wurden, die Buchidee »200 Women« in Deutschland umzusetzen und aktiv an dem Projekt mitzuarbeiten, fühlten wir uns geehrt und in unserer bisherigen Arbeit bestätigt – und tatsächlich wurden wir aufgrund unserer programmatischen Ausrichtung und unserem anspruchsvollen und fokussierten Programm ausgewählt.

Das Projekt, das das neuseeländische Team unter der Federführung von Geoff Blackwell und Ruth Hobday initiiert hat, ist in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Fünf scheinbar einfache Fragen wurden über 200 Frauen aus der ganzen Welt gestellt. Die Antworten waren ebenso unterschiedlich wie die Herkunft und gesellschaftliche Zugehörigkeit der Frauen. Aber welche Geschichte auch immer sichtbar wurde, die Antworten sind berührend, weil sie authentisch und mutig sind. Sie bewegen uns, denn sie erreichen uns im Innersten. Die zum Teil radikale Offenheit der Frauen, mit der sie bereit waren, über Glück, Liebe und Träume, aber auch über ihre erlittenen körperlichen wie seelischen Schmerzen zu sprechen, macht uns deswegen so demütig und lässt uns zugleich zuversichtlich zurück, weil sie keine Opfer sein wollen, sondern energiegeladen und voller Hoffnung über sich sprechen. Keine von ihnen hat resigniert, und sie alle eint das Ziel, dass sich an der zum Teil unfassbaren Gewalt und Ungleichheit, an der Ausgrenzung und Chancenlosigkeit in unserer Welt dringend etwas ändern muss. Dafür müssen wir jedoch Kenntnis auch von dem haben, was in Nepal oder Südafrika, im Kongo oder in Bangladesch passiert – oder bei uns ums Eck. Wir müssen hinsehen.

Für die deutsche Ausgabe durften wir zwölf Frauen auswählen, die jede für sich dafür eintritt, dass Ungerechtigkeiten sichtbar werden und Zustände nicht hingenommen werden müssen. Darunter befinden sich Frauen, die hohe Risiken eingehen – nicht selten sogar ihr Leben in Gefahr bringen – wie die Fotografin Julia Leeb, die unerschrocken in den Südsudan, nach Nordkorea, Libyen oder nach Transnistrien reiste, ein Land, von dem kaum jemand weiß, dass es überhaupt existiert. Oder wie die aus Afghanistan stammende und über das Schicksal der Frauen dort berichtende Autorin Nahid Shahalimi oder die mit dem Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) ausgezeichnete Ärztin Monika Hauser, die kriegstraumatisierten und vergewaltigten Frauen durch ihre Organisation medica mondiale lebensnotwendige Unterstützung bietet. Es sind Frauen, die viel Zeit, Kraft und finanzielle Mittel aufwenden, um auf sehr unterschiedliche Weise das Leben anderer zu verbessern: Die österreichische Ärztin Inge Haselsteiner begleitet als Anästhesistin Ärztinnen der Organisation Women for Women, um in Bangladesch Frauen zu helfen, die einem Säureattentat zum Opfer elen. Oder Jose ne Cox, die die Onlineplattform Musik bewegt gegründet hat, auf der über sechzig Künstlerinnen und Künstler ihre Sozialprojekte vorstellen, damit sich auf ihr deren Fans engagieren können. Ebenso die Journalistin Kristin Helberg, die immer wieder auf die Not und die komplexen politischen Zusammenhänge in Syrien aufmerksam macht und sich für das Land einsetzt.

Beeindruckend ist auch die in Moskau geborene Dramaturgin und Schriftstellerin Sasha Marianna Salzmann, die unsere Sichtweisen aus Schubladen holt und Antworten findet, auf die wir erst die Fragen suchen müssen. Berührend die Friseurin Angelika Wöll, die jenen eine Chance in ihrem kleinen Salon bietet, die sonst keine bekämen, darunter viele aus Krisengebieten. Ebenfalls die Schweizer Künstlerin Elisabeth Masé, die geflüchtete Frauen in Berlin in ihr Atelier einlud, um dort ein Kunstwerk auf Leinwand – ein gemaltes Kleid – mit rotem Faden zu besticken. Großartig der Einsatz der Schauspielerin Jutta Speidel, die mit ihrem Horizont-Projekt obdachlosen Müttern und ihren Kindern ein Zuhause und eine Perspektive schenkt. Die Kölner Treff-Moderatorin Bettina Böttinger engagiert sich für diverse soziale Projekte wie etwa medica mondiale, und sie versucht in ihrer Sendung immer auch auf unbequeme Themen aufmerksam zu machen. Die weltbekannte Violinistin Anne- Sophie Mutter unterstützt nicht nur großzügig hochbegabte Nachwuchsmusiker, sondern verschiedene soziale Projekte und kulturelle Einrichtungen, denn Kunst, und gerade Musik, verbindet. Sie bezieht zudem eine klare Position, wenn es um die Gleichgültigkeit reicher Nationen gegenüber Armut und Hunger weltweit geht.

Alle zwölf Frauen wurden in Paris, Berlin und München interviewt und fotografiert. Die englischen Interviews führten Verleger Geoff Blackwell und der neuseeländische Fotograf Kieran E. Scott, deren einfühlsame Gesprächsführung erst jene authentischen Antworten ermöglichte. Die deutschen Interviews habe in den meisten Fällen ich geführt, und das war eine ebenso ungewohnte wie beeindruckende Erfahrung. Kieran E. Scott ist für dieses Buch um die Welt gereist, ihm sind Porträts von unglaublicher Intensität und Schönheit gelungen, die oft einen ungeschützten Blick in das Innerste zulassen. Er ist ein großer, zurückhaltender, sensibler und zugleich humorvoller Künstler, und ihm gilt unser aller Dank.

Geoff und Ruth, die so bescheiden in ihrem kurzen Vorwort über die Entstehung der Buchidee, ihre Reise und Begegnungen mit so vielen wunderbaren Menschen berichten, sind nicht nur Verleger mit einer zutiefst humanitären Haltung und Vision, sie haben ebenso einen hohen Anspruch an sich selbst und ihre Bücher, eine große Leidenschaft und starke Durchsetzungskraft. Ihnen und ihrem professionellen Team danke ich für ihr Vertrauen und die wunderbare Zusammenarbeit. Für den intensiven Austausch, die Vermittlung des Projekts und ihr Vertrauen danke ich Marianne Lassandro in Paris.

Vor allem aber danke ich den Frauen, die uns so offen und großzügig mit ihren Geschichten und Erlebnissen beschenkt haben. Es war mir eine Ehre, mit so vielen starken, beeindruckenden, mutigen und charakterstarken Frauen zu sprechen und sie und ihre Arbeit kennenlernen zu dürfen.

Hören wir ihnen also zu, diesen engagierten und besonderen Stimmen. Gemeinsam können wir sehr viel bewegen – gemeinsam können wir diese Welt für Mädchen und Frauen und damit für uns alle zum Besseren verändern.

- Elisabeth Sandmann

Behind the scenes